Zwei Rechtsprofessoren auf dem Holzweg
Die beiden Rechtsprofessoren Ueli Kieser und Marc Hürzeler verbreiten in der neusten Ausgabe des juristischen Magazins „plädoyer“ zahlreiche Unwahrheiten über die Altersvorsorge 2020. Das ist unredlich. Rechtsprofessoren dürfen eine politische Einschätzung einer Gesetzesvorlage abgeben. Vor einer Abstimmung Fakten verdrehen, liegt aber nicht drin.
Das als Plauderei über die Altersvorsorge 2020 aufgezogene Interview mit den beiden Professoren für Sozialversicherungsrecht entpuppt sich beim Lesen als eine Ansammlung von Fehlinformationen und als Stimmungsmache gegen sichere Altersrenten.
Aufklärung über die Altersvorsorge 2020 tut Not, auch bei den beiden Rechtsprofessoren.
- Der AHV-Zuschlag von Fr. 70 ist entgegen der Behauptung von Prof. Kieser weder eine Pauschale, die alle künftigen Rentnerinnen und Rentner unabhängig ihrer Beitragsdauer erhalten werden, noch ein fixer Betrag der nie an die Teuerung angepasst wird. Ein kurzer Blick ins Gesetz hätte genügt, um zu merken, dass sich Beitragslücken auch auf den Zuschlag auswirken. Der Zuschlag eines Versicherten, der nur 4 Jahre in die AHV einbezahlt hat, wird so Fr. 6 betragen. Zudem wird der Zuschlag gleich wie die AHV-Rente alle zwei Jahre der Lohn- und Preisentwicklung (AHV Mischindex) angepasst.
- Anders als im Interview suggeriert und ursprünglich vom Bundesrat vorgesehen, enthält die Altersvorsorge 2020 keine Stabilisierungsregel, die automatisch zu einer Erhöhung des Rentenalters oder zu höheren Beiträgen führt. Der Bundesrat ist bei einer ungünstigen finanziellen Entwicklung der AHV auch künftig lediglich gehalten, eine Gesetzesvorlage vorzubereiten.
- Das frühest mögliche Rücktrittsalter in den Pensionskassen wird in der Tat von heute 58 auf 60 Jahre heraufgesetzt. Bei Umstrukturierungen aber, oder bei kollektiv finanzierten Frühpensionierungsmodellen (etwa über eine Gesamtarbeitsvertragslösung), bleibt ein früherer Altersrücktritt möglich.
- Von den flexibleren Rentenmodellen profitieren nicht nur Leute in besseren Verhältnissen. Wer künftig nach 65 weiter erwerbstätig ist – etwa in einem kleinen Pensum – und gleichzeitig eine AHV-Rente bezieht, muss AHV-Beiträge entrichten und kann nicht mehr einen höheren Freibetrag geltend machen. Aber dank der Beschäftigung nach 65 kann die AHV-Rente bis zum Niveau der Maximalrente aufgestockt und allfällige Lücken bei den Beitragsjahren aufgefüllt werden. Für Leute in besseren Verhältnissen, die über die volle Beitragsdauer einbezahlt haben, bringt die Arbeit über das Pensionsalter hinaus keine höhere AHV-Rente.
- Für Arbeitnehmende, die ihre Stelle kurz vor der Pensionierung verlieren, bringt die Vorlage nicht nur wie von Marc Hürzeler dargelegt die Möglichkeit, die Freizügigkeitsleistung bei der Stiftung Auffangeinrichtung in eine Rente umwandeln zu lassen. Vielmehr können sich 58-Jährige, die die Stelle verloren haben, bei der bisherigen Pensionskasse bleiben. Selbst wenn sie finanziell nicht mehr in Lage sind, die vollen Sparbeiträge zu bezahlen. Sie haben neu einen Rentenanspruch.
- Die heutigen EL-Beziehenden werden wegen der Altersvorsorge 2020 nicht weniger Einkommen haben. Ihre Lage verändert sich nicht. Versicherte deren künftige Renten bescheiden sind, werden dank der Altersvorsorge 2020 aber weniger stark auf EL angewiesen sein, um über die Runden zu kommen. Das ist ein sozialversicherungsrechtlicher Fortschritt. Denn obschon ein Rechtsanspruch auf EL besteht, bleiben die EL eine demütigende Altersfürsorge. Bedarfsleistungen sind zudem unsicher. Sie werden bei Sanierungen viel schneller gekürzt als Versicherungsleistungen.
Anstatt fein austarierte Reformen als Murks zu bezeichnen, tun Rechtsprofessoren gut daran, die Vorlagen zuerst zu studieren. Sonst setzen sie sich dem Vorwurf aus, billige Kampagnenarbeit zu leisten.
Autorin: Doris Bianchi, geschäftsführende Sekretärin SGB, zuständig für das Dossier Altersvorsorge