«Überalterung» gibt es nicht – allenfalls Unterjüngung
Die Geburtenrate in der Schweiz sank von durchschnittlich über 4 Kindern pro Frau auf durchschnittlich 1,5 Kinder (BfS).
Der Begriff «Überalterung» entstammt dem Vokabular des Unmenschen. Er gibt vor, es gäbe «zu viele» alte Menschen, ein sozialdarwinistisches Konzept, das suggeriert, die Gesellschaft könne für sie nicht aufkommen.
Doch das stimmt nicht. Nicht der Mangel, sondern der Reichtum an Materiellem ist ein Merkmal unserer Zeit.
Alte Menschen haben genauso Anspruch auf Teilhabe wie junge. Es stimmt einfach nicht, dass wir für die Alten nicht aufkommen können und deshalb die Renten kürzen müssen. Der Anteil der AHV am Bruttoinlandprodukt (BIP) ist seit 40 Jahren immer gleich hoch – zwischen 6 und 7 Prozent des BIP. Und weil sich das BIP in dieser Zeit mehr als verdoppelt hat, haben die Jungen trotz der starken Zunahme der älteren Generation nicht weniger sondern mehr Einkommen als vor Jahrzehnten. Die Produktivität der Wirtschaft ist einfach stärker gestiegen als die Alterslast.
Kommende Generationen müssten mehr bezahlen, behaupten die Gegner der AHV-Rentenreform. Aber ist es nicht normal, dass die Gesellschaft und die Sozialversicherungen sich ändern – und dass Belastungen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich hoch ist?
Der Wohlstand der Alten geht nicht auf Kosten der Jungen. Solidarität ist keine Einbahnstrasse. Erstens werden auch die Jungen einmal alt, die allermeisten. Zweitens hat die ältere Generation von heute den Wohlstand und die Ausbildung der Jungen – Infrastrukturen, Schulen, Universitäten – vorausfinanziert. Und drittens, es wurde schon gesagt, wächst die Wirtschaft und es gibt in 50 Jahren mehr zu verteilen, wenn wir keine groben Fehler machen. Viele Güter des täglichen Bedarfs kosten denn auch immer weniger, zum Beispiel Computer, Autos, Nahrungsmittel oder Medienkonsum im Internet.
Wenn schon, haben wir in der Schweiz keine „Überalterung“, sondern eine „Unterjüngung“, also zu wenig Kinder im Vergleich mit der vorangehenden Generation. Schuld daran ist die tiefe Geburtenrate von durchschnittlich 1,5 Kinder pro Frau. Die fehlenden Kinder heizen die Zuwanderung an, denn die Wirtschaft holt sich die nötigen Fachkräfte, wo sie sie findet.
Deshalb ist es wichtig, dass die soziale Absicherung stark bleibt: Auch junge Eltern sollen Unterstützung bei der Kinderbetreuung erhalten, damit der Wohlstand für alle erwirtschaftet werden kann. Nicht der Sozialstaat ist das Problem, sondern die Angstneurosen einer rechtsbürgerlichen Fast-Mehrheit im Parlament, welche nötige Reformen verhindert, sobald sie etwas kosten.
Wer ja sagt zur Altersreform sagt ja zum Wohlstand für alle und ja zur modernen Schweiz.
Darum JA zum Rentenkompromiss
· Sichere AHV-Renten bis 2030
· 70 Franken mehr AHV zur Kompensation für den tieferen BVG-Umwandlungssatz
· 0,6 Mehrwertsteuer-Prozente zusätzlich für die AHV, davon 0,3% von der IV
· Verbesserte Absicherung für Teilzeitbeschäftigte
· Rentenalter 65 für Mann und Frau – keine weitere Erhöhung des Rentenalters
· Umwandlungssatz wird an tiefere Zinsen und Demographie angepasst.
Dr. Rudolf Rechsteiner, Mitglied der Sozialpolitischen Kommission des Nationalrats 1999-2007